Über Samsungs Aufstieg zum Weltmarktführer für Handys gibt es viele Legenden. Eine davon sagt besonders viel über die Firmenkultur des südkoreanischen IT-Riesen aus – und auch etwas darüber, wie es zu dem Desaster mit den explodierenden Akkus des Samsung-Handys Galaxy Note 7 kommen konnte. Die Legende geht in etwa so:
Als es 1995 Kritik wegen Produktionsmängeln gab, ließ der damalige Samsung-Chef Lee Kun Hee nach Angaben des US-Blogs TechCrunch rund 150.000 Fernseher, Handys und Faxgeräte zu einem Scheiterhaufen aufschichten. Lee soll einige der Geräte mit einem Hammer zertrümmert haben, angewidert von ihrer schlechten Qualität. Dann soll er den Befehl gegeben haben, den Haufen anzuzünden.
Hoch hätten die Flammen vor der Fabrik in der Stadt Gumi emporgelodert, heißt es. Manche der 2000 Arbeiter, die Lee für die Lektion herbeizitiert hatte, sollen in Tränen ausgebrochen sein.
Die Botschaft, die der alte Firmenpatriarch aussenden wollte, war klar: Bei Samsung werden keine Fehler gemacht. Wer sich doch einen erlaubt, wird mit maximaler Verachtung gestraft. Mindestens.
An diesem Anspruch hat sich bis heute nichts geändert. Auch jetzt, da Lee Kun Hees einziger Sohn Lee Jay Yong, 48, das Samsung-Reich führt, ist die Firmenkultur von Ehrgeiz, manchmal Überehrgeiz geprägt.
Zwar trete Lee Jay Yong wesentlich diplomatischer auf als sein mittlerweile 73-jähriger Vater, sagt Geoffrey Cain, Autor eines Buchs über das Samsung-Imperium, das in Kürze erscheint. Sein Anspruchsdenken jedoch sei ebenso groß wie das Lee Kun Hees. Samsung habe eine Obsession, die Produkte anderer Firmen zu studieren, zu kopieren und möglichst schnell zu übertreffen, sagt Cain.
Aggression und Ambition scheinen die zentralen Werte von Samsung zu sein. Der Lee-Clan will das beste, schnellste, allumfassendste Firmenreich der Welt aufbauen. Und er verfolgt dieses Ziel seit nunmehr drei Generationen mit unerbittlicher Härte.
Seit rund anderthalb Monaten sind wieder brennende Samsung-Handys zu sehen. Nur hat dieses Mal kein Patriarch sie anzünden lassen. Sie brennen von selbst. Und manchmal explodieren sie.
Im New Yorker Stadtteil Brooklyn musste Berichten zufolge ein sechsjähriger Junge ins Krankenhaus, weil ein Samsung-Handy, mit dem er spielte, in Flammen aufging. In Florida brannte nach der Explosion eines Note 7 ein Geländewagen aus. In Australien ging ein Samsung-Gerät in einem Hotelzimmer in die Luft und löste einen Brand aus.
Mindestens 92 Meldungen über überhitzte Galaxy-Geräte wurden inzwischen bei US-Behörden gemeldet; in 26 Fällen sollen sich Verbraucher Verbrennungen zugezogen haben. Das Note 7 ist in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer tickenden Zeitbombe geworden, das seinen Nutzern jederzeit in der Hosentasche oder in der Hand explodieren kann.
Für Samsung wäre schon das ein markentechnisches Desaster. Nun aber könnte es noch schlimmer kommen: Vergangenen Mittwoch ging offenbar ein Gerät in Flammen auf, das ein Kunde nach einer groß angelegten Rückrufaktion von Samsung erhalten haben soll. Am Wochenende gab es weitere Berichte von Austauschgeräten, die sich selbst entzündet haben sollen. Seit Mitte September ist der Konzern dabei, rund 2,5 Millionen Note-7-Handys zurückzunehmen und den betroffenen Kunden neue, vermeintlich sichere Modelle zuzuschicken. Nun sorgen sich Verbraucher, dass auch diese Geräte unsicher sind.
Der Samsung-Konzern will das Gerät erst untersuchen lassen, ehe er sich zu dem Vorfall äußert. Doch schon jetzt ist klar: Die Pannenserie mit dem Note 7 ist nicht zuletzt eine Folge des entgrenzten Ehrgeizes, der bei Samsung herrscht.
Nach Angaben der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg hatten Samsung-Manager schon vor einem Jahr massiv Druck gemacht, um das Gerät früher als ursprünglich geplant herauszubringen. Ziel war es, noch vor dem neuen Apple iPhone 7 auf dem Markt zu sein, das am 7. September vorgestellt wurde.
Es ist nicht das erste Mal, dass Samsung so aufs Tempo drückt. Als 2011 ein prominenter Kunde, die Deutsche Telekom, zur Branchenmesse Ifa unbedingt das weltweit erste Handy mit dem Übertragungsstandard LTE präsentieren wollte, machte der Lee-Clan seinen Entwicklern ebenfalls Dampf – und lieferte pünktlich.
Dieses Mal könnte das hohe Tempo auf Kosten der Qualität gegangen sein. Ein Akku ist ein Hightech-Produkt, das Energie in hochkomprimierter Form speichert. Samsung wollte mit dem Note 7 im Bereich Batterietechnologie neue Standards setzen – und gleichzeitig schneller sein als Apple.
Der Akku des Note 7 hat laut Samsung eine Kapazität von 3500 Milliamperestunden (siehe Fotostrecke). Das neue iPhone 7 Plus kommt nur auf 2900 Milliamperestunden. Die US-Verbraucherschutzorganisation CPSC hatte Anfang September festgestellt, dass das Note-7-Gehäuse für den Akku zu klein ist. Die Batterie könnte bei der Montage gequetscht werden, sagte CPSC-Chef Elliot Kaye. Dadurch könne es zu Kurzschlüssen kommen.
Kritiker vermuten nun, dass das Note 7 aus Zeitnot nicht genügend getestet wurde. So ziemlich jeder im mittleren Management habe ein Motiv gehabt, sich durch die raschere Produktion des Note 7 zu profilieren, sagt Samsung-Kenner Caine. Denkbar, dass bei solch einem Klima die Gründlichkeit gelitten hat.
Das Unternehmen selbst weist die Vorwürfe zurück. Man bringe grundsätzlich nur Geräte auf den Markt, die vollständig getestet seien, heißt es bei Samsung. Wie genau die Kontrollen abgelaufen sind, teilt der Konzern indes nicht mit.
Ohnehin stellt sich die Frage, wer eigentlich Samsung selbst noch kontrolliert. Schon öfter zeigte sich, dass sich der Mega-Konzern, der rund ein Fünftel der südkoreanischen Wirtschaftsleistung generiert, zumindest in seinem Heimatland so ziemlich alles erlauben kann.
Ex-Firmenpatriarch Lee Kun Hee etwa soll heimlich Aktien von Samsung Electronics zum Vorzugspreis an seinen Sohn weitergereicht haben. Ein Gericht verurteilte ihn dafür zu drei Jahren Gefängnis, die Regierung aber begnadigte ihn.
Der frühere Chefanwalt von Samsung, Kim Yong Chul, warf dem Lee-Clan 2010 in einem Buch vor, zahlreiche Politiker bestochen zu haben. Die Medien ignorierten das Buch, die Staatsanwaltschaft weigerte sich, die Vorwürfe zu untersuchen. Und Kims Karriere war nach Veröffentlichung zerstört. Er musste einen Job in einer Bäckerei annehmen.